Heimweh.

Ich sitze gerade im ICE 1. Klasse Abteil und versuche mir die Zeit bis nach Braunschweig totzuschlagen. Die anderen Mitreisenden versuchen derweil zu schlafen. Sollte ich auch, aber irgendwie bin ich noch nicht ganz wieder runter gefahren. Mein Kopf ist noch zu voll. Zu frisch sind noch die vielen Eindrücke und die tolle Zeit, die wir im (hust*hust) Land der aufgehenden Sonne erleben durften.

Wir sind heute morgen um 06:00 Uhr Tokioer Zeit aufgestanden.  Nun ist bereits 02:00 Uhr Nachts. Hier im Zug allerdings ist es gerade 19:00 Uhr geworden. Der Körper nimmt einem das Spiel mit den Zeitzonen wirklich übel. Ich versuche meine Gedanken und insbesondere Termine für die beginnende Woche zu sammeln, aber viel ist da nicht los zwischen Schädeldecke und Unterkiefer.

Merklich nervös und unruhig schaue ich auf die Uhr. Ich habe komplett das Zeitgefühl verloren. Mein Chronograph, eine alte CASIO G-SHOCK GS-1100, die ich vor Jahren im Schrott fand und aufgearbeitet habe, zeigt noch die Zeitzone der vergangenen Tage an.

Was nehme ich also mit aus der Woche, auf die wir uns so lange gefreut haben? Ich habe jedes mal das Gefühl, dass ich als besserer Mensch wieder komme. Das liegt an mehreren Dingen. Zum einen ist es die Art und Weise wie dir Japaner gegenüber agieren, wie sie dich behandeln, wie sie dir helfen. Obwohl Du als Kerl lange Haare hast und sie noch schlechter englisch können als du selbst. Es ist egal wie du aussiehst. Du wirst so behandelt wie jeder andere. Ob du ein Mensch im Business-Anzug oder ein Kaputter Punker bist. Das spielt erst einmal keine Rolle.

Damit kommen wir dann auch schon zum anderen, vielleicht viel wichtigeren Punkt. Ich fühle mich dort angenommen. Ernst genommen. Ich bin ein Mensch, wie ich einer bin. Und damit bin ich leider nicht wirklich die Normalität der Gesellschaft. Viele Leute glauben, ich hätte mir das so ausgesucht. Aber das habe ich nicht. Genauso wenig wie jemand, der homosexuell ist. Wenn ich versuche „normal“ zu sein, fühle nicht nur ich mich unglücklich sondern die anderen Menschen merken, dass es ich um eine Fassade handelt. Oder warum trägst Du diesen Haarschnitt? Warum hörst Du diese Musik? Weil sie dir gefällt. Aus seiner Haut kann man nur bedingt. Klar versuche ich mich anzupassen und nehme eine Menge Rücksicht. Genauso wie ich möchte, dass mich andere akzeptieren, möchte ich den Anderen aber auch nicht vor den Kopf stoßen. Wenn ich schwul wäre würde ich ja auch nicht überall rum rennen und schreien „Yo, ich bin Neo und ich bin übrigens schwul!“. Hab ich euch schon erzählt welches meine sexuelle Orientierung ist? Eher nicht… Es ist so wie ein VWler, der dir direkt nach seinem Namen sagt, er sei AT. Affig. Ähm…

Worauf wollte ich hinaus? Genau. Die Japaner scheren sich *erstmal* ’n Dreck darum wer du bist. Das ändert sich, wenn es darum geht ihr Angestellter zu sein, oder ein Schüler oder bla. Aber wenn Du ein Mensch bist, der eine Frage hat, etwas kaufen möchte, den Weg nicht weiß, oder da einfach mal durch will, weil jemand im Weg ‚rum steht, dann ist das was Du bist völlig Jacke wie Hose. Und dies ist das Gefühl was ich meine. Dieses Positive und Vorurteilsfreie. Das gibt einem so viel Energie und Freude. Es hat sich ein Juniohighschool Mädchen neben mich gesetzt. Trotz meiner Stiefel und Ledermantel. In Deutschland wird man abwertend angeschaut und die Leute machen einen großen Bogen um dich.

Ich denke, ich komme mit einer positiveren und bescheideneren Einstellung zurück.

Warst Du schon mal in Japan? Fahr hin, schau es Dir an. Glaub mir, Du wirst verstehen was ich meine.